In einer Zeit, in der Kleidung günstiger und zugänglicher ist als je zuvor, wirft die Expansion von Fast-Fashion-Giganten wie Shein und Temu ernsthafte Fragen über die Nachhaltigkeit und Ethik unserer Konsumgewohnheiten auf. Gleichzeitig kämpfen traditionelle Einkaufsstraßen wie die Nürnberger Innenstadt mit Leerständen und sinkender Attraktivität. Dieser Artikel beleuchtet die Schattenseiten der Billigmode und untersucht, warum Verbraucher trotz wachsenden Bewusstseins für Nachhaltigkeit weiterhin zu Fast Fashion greifen.
Die Verlockung des Billigen: Shein und Temu im Fokus
Shein und Temu haben mit ihren extrem niedrigen Preisen und einer schier endlosen Auswahl an Produkten den Markt im Sturm erobert. T-Shirts für 5 Euro und Jeans für 15 Euro locken vor allem junge Konsumenten an. Doch der vermeintliche Schnäppchenpreis hat einen hohen Preis – für Umwelt, Arbeiter und letztlich auch für die Verbraucher selbst.
Gefährliche Inhaltsstoffe und mangelnde Kontrollen
Jüngste Untersuchungen in Südkorea haben alarmierend hohe Konzentrationen schädlicher Chemikalien in Produkten von Shein und Temu aufgedeckt. In einem Fall überstieg der Gehalt an gesundheitsschädlichen Weichmachern den gesetzlichen Grenzwert um das 229-fache.
Solche Substanzen können schwerwiegende gesundheitliche Folgen haben, von Unfruchtbarkeit bis hin zu einem erhöhten Krebsrisiko. Eine Studie der südkoreanischen Behörden ergab, dass von 93 untersuchten Shein-Produkten die Hälfte unter Verwendung giftiger Chemikalien hergestellt wurde. Besonders besorgniserregend ist, dass in einem Schuhmodell der Gehalt an Phthalaten und Blei, das 428-fache des erlaubten Grenzwerts betrug. Diese Erkenntnisse werfen ein Schlaglicht auf die potenziellen Gesundheitsrisiken, die mit dem Tragen von Fast Fashion-Kleidung verbunden sind.
Ausbeutung und prekäre Arbeitsbedingungen
Hinter den Kulissen der Billigmode verbergen sich oft menschenunwürdige Arbeitsbedingungen. Recherchen deuten darauf hin, dass Arbeiter für Shein bis zu 75 Stunden pro Woche ohne Arbeitsvertrag und Sozialleistungen schuften müssen. Die niedrigen Preise werden also auf Kosten der Schwächsten in der Lieferkette erzielt. Ein Bericht von Public Eye aus dem Jahr 2021 enthüllte, dass Arbeiter in einigen Shein-Fabriken in China routinemäßig 75-Stunden-Wochen absolvieren, mit nur einem freien Tag pro Monat. Dies steht in krassem Widerspruch zu chinesischen Arbeitsgesetzen und internationalen Arbeitsstandards. Zudem wurden Fälle von Kinderarbeit und Zwangsarbeit in der Lieferkette von Fast-Fashion-Unternehmen dokumentiert, was die ethischen Probleme in der Branche weiter unterstreicht.
Umweltzerstörung im großen Stil
Die Massenproduktion von Billigkleidung hat verheerende Auswirkungen auf die Umwelt. Allein die Transportwege eines T-Shirts können sich auf über 27.000 km summieren, was einen enormen CO₂-Ausstoß zur Folge hat. Hinzu kommt die Verschmutzung von Gewässern durch Mikroplastik und giftige Chemikalien bei der Produktion. Laut einem Bericht des Ellen MacArthur Foundation verursacht die Textilindustrie jährlich 1,2 Milliarden Tonnen CO₂-Emissionen – mehr als der internationale Flug- und Schiffsverkehr zusammen. Zudem ist die Modeindustrie für etwa 20 % der globalen industriellen Wasserverschmutzung verantwortlich, hauptsächlich durch Textilfarben und -behandlungen. Diese Zahlen verdeutlichen die massive Umweltbelastung durch Fast Fashion.
Zara und H&M: Besser oder nur teurer?
Während Shein und Temu oft als Hauptschuldige an den Missständen in der Modeindustrie dargestellt werden, stellt sich die Frage, ob etablierte Ketten wie Zara und H&M tatsächlich besser sind. Auch diese Unternehmen setzen auf schnelle Produktionszyklen und niedrige Preise, wenn auch nicht ganz so extrem wie ihre asiatischen Konkurrenten. Ein wesentlicher Unterschied liegt in der Lieferkette: Während Shein fast ausschließlich in China produzieren lässt, verteilen Zara und H&M ihre Produktion auf mehrere Länder, darunter auch europäische Staaten. Dies ermöglicht potenziell bessere Kontrollen und kürzere Transportwege. Dennoch bleiben auch bei diesen Unternehmen Fragen bezüglich Arbeitsbedingungen und Umweltauswirkungen offen. Eine Studie der Changing Markets Foundation aus dem Jahr 2021 zeigte, dass 59 % der Nachhaltigkeitsaussagen von H&M und 60 % von Zara als irreführend oder ungenau eingestuft werden können. Dies deutet darauf hin, dass auch etablierte Marken noch einen weiten Weg vor sich haben, um wirklich nachhaltig zu werden.
Die Krise der Innenstädte: Nürnbergs Kampf gegen den Leerstand
Während Online-Giganten boomen, kämpfen traditionelle Einkaufsstraßen ums Überleben. In Nürnberg steht die einst belebte Breite Gasse symbolisch für diesen Niedergang. Mit einer Leerstandsquote von 16 Prozent – deutlich über dem städtischen Durchschnitt von 6,6 Prozent – zeigt sich hier das ganze Ausmaß der Krise. Große leerstehende Gebäude wie der ehemalige Kaufhof und der City-Point verstärken den sogenannten Trading-Down-Effekt: Je mehr Geschäfte schließen, desto unattraktiver wird die Gegend für potenzielle neue Mieter. Die Stadt Nürnberg versucht gegenzusteuern, etwa durch den Ankauf des Kaufhof-Gebäudes und Pläne für eine vielseitige Nutzung mit Handel, Gastronomie und Kultur. Laut einer Studie des Instituts für Handelsforschung Köln (IFH) droht bis 2030 jeder fünften deutschen Innenstadt der Kollaps. In Nürnberg hat die Pandemie diese Entwicklung noch beschleunigt, mit einem Rückgang der Passantenfrequenz um bis zu 40 % in Spitzenzeiten. Diese Zahlen verdeutlichen die dramatische Situation des stationären Einzelhandels in deutschen Innenstädten.
Warum greifen Verbraucher trotzdem zu Fast Fashion?
Trotz wachsenden Bewusstseins für die Probleme der Fast Fashion bleibt die Nachfrage hoch. Gründe dafür sind:
Niedrige Preise: In Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit locken günstige Angebote. Eine Studie von McKinsey zeigt, dass 67 % der Verbraucher den Preis als wichtigsten Faktor bei Modekäufen nennen.
Bequemlichkeit: Online-Shopping von zu Hause ist einfacher als der Gang in die Innenstadt. Laut einer Umfrage des Bundesverbands E-Commerce und Versandhandel Deutschland (bevh) kauften 2021 bereits 72,5 % der Deutschen Kleidung online.
Große Auswahl: Fast-Fashion-Anbieter bieten eine schier endlose Palette an Styles. Shein beispielsweise fügt täglich bis zu 6.000 neue Artikel zu seinem Sortiment hinzu.
Trendorientierung: Der Wunsch, immer die neuesten Modetrends mitzumachen, treibt den Konsum an. Eine Studie von ThredUp ergab, dass 17 % der jungen Erwachsenen es peinlich finden, zweimal im selben Outfit fotografiert zu werden.
Alternativen und Handlungsempfehlungen
Um dem Fast-Fashion-Dilemma zu entkommen, können Verbraucher:
Qualität statt Quantität wählen: In hochwertigere, langlebigere Kleidungsstücke investieren. Studien zeigen, dass qualitativ hochwertige Kleidung bis zu 50 Mal länger hält als Fast-Fashion-Produkte.
Lokale Geschäfte unterstützen: Der Einkauf in der Innenstadt stärkt die lokale Wirtschaft. Jeder Euro, der lokal ausgegeben wird, generiert durchschnittlich 1,5 Euro an zusätzlicher wirtschaftlicher Aktivität in der Region.
Secondhand und Upcycling in Betracht ziehen: Gebrauchte Kleidung kann stylish und nachhaltig sein. Der globale Second-Hand-Markt wird voraussichtlich bis 2026 auf 77 Milliarden Dollar anwachsen.
Auf Zertifizierungen achten: Labels wie GOTS oder Fairtrade geben Hinweise auf nachhaltigere Produktion. GOTS-zertifizierte Textilien verbrauchen bis zu 91 % weniger Wasser und 62 % weniger Energie in der Produktion.
Bewusster konsumieren: Vor jedem Kauf überlegen, ob das Kleidungsstück wirklich benötigt wird. Eine Studie zeigt, dass 40 % der gekauften Kleidung nie oder selten getragen wird.
Der Weg zur Belebung der Nürnberger Innenstadt: Herausforderungen und Chancen
Die Nürnberger Innenstadt, einst das pulsierende Einkaufsherz der Region, steht heute vor enormen Herausforderungen. Die hohe Leerstandsquote, insbesondere in der Breiten Gasse, und die langjährige Vakanz von Großobjekten wie dem City Point und dem Kaufhof-Gebäude sind Symptome einer tiefgreifenden Krise. Diese Entwicklung ist jedoch kein isoliertes Nürnberger Problem, sondern spiegelt den allgemeinen Wandel in den Einkaufsgewohnheiten und die strukturellen Herausforderungen des Einzelhandels wider.
Die Stadt Nürnberg hat jedoch entschiedene Schritte unternommen, um dieser Krise entgegenzuwirken. Das Sofortprogramm, das die kostenlose Aufstellung von Blumenkübeln und Bierbänken sowie die Erweiterung der Außengastronomie ohne weitere Kosten ermöglicht, soll die unmittelbare Attraktivität der Innenstadt steigern .Zudem plant die Stadt, die Shopping-Meilen aufzuwerten und den baulichen Zustand der innerstädtischen Bereiche zu verbessern. Die Neugestaltung der Breiten Gasse, die rund 1 Million Euro kosten soll, ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung .
Ein weiterer zentraler Aspekt ist die Entwicklung einer gemischten Nutzung der Innenstadt. Gastronomie, Kongresse, Bildung und Einzelhandel sollen künftig Hand in Hand gehen, um eine vielfältige und lebendige Stadtmitte zu schaffen. Die Überlegungen, das Kaufhof-Gebäude und das City Point gemeinsam zu entwickeln, mit einer Mischung aus Gastronomie, Kongressen und Bildung, zeigen, dass die Stadt bereit ist, innovative Lösungen zu finden.
Die Integration von Grünflächen und Aufenthaltsqualität ist ebenfalls ein Schlüssel zur Belebung der Innenstadt. Die Stadt plant, mehr Raum zum Verweilen zu schaffen, damit Menschen ihre Freizeit in der Innenstadt verbringen können – sei es, um mit Freunden zu treffen, etwas zu genießen oder kulturelle Nutzungen wahrzunehmen. Trotz dieser Bemühungen bleibt die Lösung des Leerstandproblems eine langfristige Aufgabe. Die Stadt muss weiterhin eng mit Eigentümern, Händlern und potenziellen Investoren zusammenarbeiten, um nachhaltige und wirtschaftlich tragfähige Lösungen zu finden. Der geplante Austausch mit potenziellen Investoren für den Standort der insolventen Galeria-Kette und die Überlegungen, das Kaufhof-Gebäude als Kongresszentrum zu nutzen, sind hierbei wichtige Schritte.
Insgesamt zeigt sich, dass Nürnberg bereit ist, den Wandel in den Einkaufsgewohnheiten und die strukturellen Herausforderungen des Einzelhandels aktiv zu gestalten. Durch eine Kombination aus Sofortmaßnahmen, langfristigen Entwicklungsplänen und der Schaffung einer vielfältigen und lebendigen Innenstadt kann die Stadt ihre Attraktivität wiederherstellen und sich für die Zukunft rüsten. Die Nürnberger Innenstadt 2035 soll kein reiner Handelsstandort mehr sein, sondern ein lebendiger Ort, an dem Menschen ihre Freizeit verbringen, kulturelle Nutzungen wahrnehmen und sich wohlfühlen können.
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